Gibt es eine Alternative zu den grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten nach den nationalen Prozessvorschriften, falls der Streitwert gering ist?

Handelt es sich um eine geringfügige Forderung im Sinne der VO (EG) Nr. 861/2007 vom 11. 07. 2007, hat die Gläubigerpartei die Wahl zwischen

  • dem Zivilprozessverfahren nach der Zivilprozessordnung (ZPO)

und

  • dem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen.

 

Welche Vorteile bietet ein derartiges europäisches Verfahren?

Innerhalb von 30 Tagen, nachdem die Antworten des Beklagten oder des Klägers (im Falle einer Widerklage) eingegangen sind, hat das Gericht ein Urteil zu erlassen.

Nach der VO (EG) Nr. 861/2007 bedarf die Gläubigerpartei zur Einleitung der Zwangsvollstreckung aus dem inländischen Urteil, welches in einem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen erlassen worden ist,  in einem anderen EU-Mitgliedstaat lediglich der entsprechenden Bestätigung durch das inländische Gericht.

Damit entfällt in den anderen EU-Mitgliedstaaten das Verfahren zur Vollstreckbarerklärung, das bislang der Vollstreckung aus inländischen Urteilen vorgeschaltet ist.

Im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen werden die grenzüberschreitenden Streitigkeiten in der Regel einfacher, schneller und kostengünstiger beigelegt.

 

In welchen Gesetzen und Verordnungen ist das Verfahren im Inland geregelt?

Regelungen enthalten unter anderem:

  • die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 07. 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (VO (EG) Nr. 861/2007 (Small-Claims-Verordnung)) - auch Bagatellverfahrensordnung (EuBagVVO) genannt -,
  • die Zivilprozessordnung .
 

Welche Ansprüche kann ich im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen geltend machen?

Die VO (EG) Nr. 861/2007 findet in grenzüberschreitenden Rechtssachen in Zivil- und Handelssachen mit einem Streitwert bis zu 2.000 Euro Anwendung.

 

Welche Ansprüche kann ich nicht im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen geltend machen?

Die VO (EG) Nr. 1861/2007 findet u. a. keine Anwendung auf :

  • Ansprüche aus Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte;
  • arbeitsrechtliche Ansprüche;
  • erbrechtliche Ansprüche;
  • Feststellung oder Gestaltung von Rechtsverhältnissen;
  • Staatshaftungsansprüche für hoheitliches Handeln;
  • Steuersachen;
  • unentgeltliche Ansprüche aus Vermietung oder Verpachtung von Immobilien (z. B. Räumungsanspruch);
  • Unterhaltsansprüche;
  • vermögensrechtiche Streitigkeiten zwischen Eheleuten während der Ehe oder nach Trennung oder Scheidung;
  • verwaltungsrechtliche Angelegenheiten;
  • Zollsachen.

 

Wie ist der örtliche Anwendungsbereich der VO (EG) Nr.  861/2007?

Die VO (EG) Nr. 861/2007 gilt für alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark, Erwägungsgrund 38, Art. 2 III VO (EG) Nr. 861/2007.

Welches Gericht ist zuständig?

Das Amtsgericht ist zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich nach der VO (EG) Nr. 44/2001 (EuGVO).

(Besondere) Zuständigkeiten ergeben sich unter anderem aus

  • dem Wohnsitz des Beklagten,
  • dem Wohnsitz des Verbrauchers,
  • dem Erfüllungsort/Leistungsort der vertraglichen Verpflichtung,
  • dem Ort des schädigenden Ereignisses bei einer unerlaubten Handlung,
  • dem Rechtssitz/Wohnsitz des Versicherungsunternehmens/Versicherten/Begünstigten,
  • dem Ort, an dem die unbewegliche Sache belegen ist,
  • der Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien.
  • Soweit die Schuldnerpartei ein Verbraucher und eine natürliche Person ist, richtet sich die örtliche Zuständigkeit ausschließlich nach dem Wohnsitz der Schuldnerpartei.
  • Die Entscheidung im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen trifft der zuständige Richter.

 

 Wo erhalte ich Informationen über die Vorschriften für die gerichtliche Zuständigkeit?

Informationen finden Sie im Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen. externer Link, öffnet neues Browserfenster / neuen Browser-Tab

 

In welchen Fällen ist die Schuldnerpartei ein Verbraucher?

Die Schuldnerpartei ist ein Verbraucher, falls die geltend gemachte Hauptforderung einen Vertrag betrifft, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zuzurechnen ist.

 

Wie leite ich das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen ein?

Die Antragstellung erfolgt mittels EU-einheitlichen Klageformblatts (Formblatt A),  § 1097 I ZPO, Artikel 4 I VO (EG) Nr. 861/2007.

 

 Was sind die Voraussetzungen für die Durchführung des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen?

Es müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt mindestens 1 Partei in einem anderen EU-Mitgliedstaat, Artikel 1, 3 VO (EG) Nr. 861/2007, 
  • Streitwert bis 2.000 Euro, Artikel 2 I VO (EU) Nr. 861/2007,
  • Zuständigkeit des angerufenen Gerichts,
  • Antragstellung durch die Gläubigerpartei mittels EU-einheitlichen Klageformblatts (Formblatt A), Artikel 4 I VO (EG) Nr. 861/2007, § 1097 I ZPO.
 

Kann ich die Verfahrenskosten ebenfalls im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen geltend machen?

Gemäß Erwägungsgrund 33 VO (EG) Nr.. 861/2007 können von der Gläubigerpartei die Verfahrenskosten (unter anderem Gerichtskosten und Rechtsanwaltskosten) ebenfalls im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen geltend gemacht werden, vergleich Ziffer 7.3.1 und 7.3.3 des Klageformblatts (Formblatt A).

 

In welchen Fällen kann ich die Anahme verweigern? Ist die Annahmeverweigerung an eine Frist gebunden?

Die Schuldnerpartei kann die Annahme des Schriftstücks:

  • Klageformblatt (Formblatt A),
  • Antwortformblatt (Formblatt C),
  • Europäischer Vollstreckungstitel (Formblatt D)
  • aufgrund der verwendeten Sprache nur verweigern, falls es nicht in der Amtssprache des Gerichts bzw. des Empfangsmitgliedstaats am Ort der Zustellung abgefasst ist, Übersetzungen nicht beigefügt sind und der Empfänger diese Sprache nicht versteht.

Die Annahmeverweigerungsfrist beträgt 1 Woche und beginnt mit der Zustellung; Artikel 6 III VO (EG) Nr. 861/2007, § 1098 ZPO.

 

Habe ich als Gläubigerpartei hinsichtlich der Widerklage bzw. des Europäischen Vollstreckungstitels ebenfalls ein Annahmeverweigerungsrecht?

Die Gläubigerpartei hat aufgrund der verwendeten Sprache aus den oben genannten Gründen ebenfalls ein entsprechendes Annahmeveweigerungsrecht hinsichtlich der Widerklage (Formblatt A) und ggfs. des Europäischen Vollstreckungstitels (Formblatt D).

Die Annahmeverweigerungsfrist beträgt auch hier eine Woche.

 

 Muss ich auf die Klage antworten? Ist die Antwort fristgebunden?

Die Schuldnerpartei hat innerhalb von 30 Tagen das EU-einheitliche Antwortformblatt (Formblatt C) ausgefüllt dem inländischen Gericht zurückzusenden, Artikel 5 III VO (EG) Nr. 861/2007.

In Betracht kommen unter anderem:

  • Anerkenntnis,
  • Teilanerkenntnis,
  • Klageerwiderung,
  • Widerklage.

 

Wann beginnt die vorgenannte Frist? Wie berechnet sich diese?

Maßgeblich für die Fristberechnung ist nicht nationales Recht, sondern europäisches Recht, Erwägungsgrund 24 VO (EG) Nr. 861/2007, VO (EWG, Euratom) Nr. 1182/71.

Die Frist beginnt mit dem Tag, der dem Zustellungstag folgt.

Zugestellt ist die gerichtliche Aufforderung auch dann, wenn diese in Ihrem Briefkasten eingelegt ist.

Auch wenn die Post Sie schriftlich benachrichtigt, dass sie den Brief abholen können, ist er zugestellt, nicht erst, wenn Sie diesen in den Händen halten.

Fällt das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, so endet die Frist mit dem Ablauf des nächsten Arbeitstages.

Dabei gelten die Feiertage des EU-Mitgliedstaates des erkennenden Gerichts.

Für das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen vor dem Amtsgericht Solingen gelten daher die inländischen Feiertage.

 

In welchen Fällen kann ich Widerklage erheben? Wie erfolgt die Erhebung der Widerklage?

Die Erhebung der Widerklage ist gemäß Erwägungsgrund 16 VO (EG) Nr. 861/2007 zulässig, sofern

  • der Gegenstand der Widerklage denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage betrifft,
  • der Streitwert der Widerklage maximal 2.000 Euro beträgt.

Die Erhebung der Widerklage erfolgt in der Regel mittels Klageformblatt (Formblatt A), Artikel 5 VI VO (EG) Nr. 861/2007.

 

Wie kann ich mein Recht auf Aufrechnung mit der Klageforderung geltend machen?

Die Aufrechnung ist in der Regel nicht als Widerklage geltend zu machen.

Die Aufrechnung erfolgt daher in der Regel mittels Antwortformblatt (Formblatt C),  vergleich Erwägungsgrund 17 VO (EG) Nr. 861/2007.

 

 Was sind die Rechtsfolgen der Säumnis der Schuldnerpartei?

Im Falle der Säumnis der Schuldnerpartei ergeht ein Urteil nach Lage der Akten.

Dies gilt für folgende Fälle:

  • Die Schuldnerpartei sendet das Antwortformblatt (Formblatt C) nicht fristgemäß dem inländischen Gericht zurück.
  • Die Schuldnerpatei lässt eine andere Schriftsatzfrist fristlos verstreichen.
  • Die Schuldnerpartei erscheint nicht zum Gerichtstermin.
  • Der Erlass eines Versäumnisurteils im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ist unzulässig.

 

Mit welchem Rechtsmittel kann ich das Urteil im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen anfechten?

Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden, soweit die Beschwerdesumme 600 Euro übersteigt, siehe Artikel 17 VO (EG) Nr. 861/2007,  §§ 511, 511a ZPO.

Die Berufungsfrist beträgt 1 Monat, § 516 ZPO.

 

Kann ich trotz des Ablaufs der Rechtsmittelfrist einen Antrag auf Überprüfung des inländischen Urteils stellen?

Die Schuldnerpartei kann noch einen Antrag auf Überprüfung des Urteils stellen, sofern und soweit ihm das Klageformblatt oder die Ladung zum Gerichtstermin ohne Nachweis des Empfangs zugestellt worden ist und

  • die Zustellung ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig erfolgte, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung hätte treffen können,

oder

  • die Schuldnerpartei aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden daran gehindert war, das Bestehen der Forderung zu bestreiten.

Lehnt das Gericht die Überprüfung ab, bleibt das erlassene Urteil in Kraft.

 

Entscheidet dagegen das Gericht, dass die Überprüfung gerechtfertigt ist, so ist das im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangene Urteil nichtig.

 

Wie und von wem erhalte ich die Bestätigung des im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangenen Urteils?

Die Bestätigung bedarf eines Antrags; dieser wird in der Regel bereits im Formblatt A gestellt.

Der Antrag unterliegt keinem Anwaltszwang.

Die Bestätigung erfolgt mittels Formblatt D.

Die Erteilung der begehrten Bestätigung erfolgt durch den zuständigen Rechtspfleger.